Die ARD in Zeiten des Maskulismus
Wenige Monate zuvor, im April 2006, hatte die Zeitschrift EMMA die Entlassung Hermans deutlich angefordert und indirekt zu Massenprotesten in dieser Hinsicht aufgerufen: In einem Rundschreiben, das EMMA kurz nach der Veröffentlichung eines Herman-Interviews in der Monatszeitschrift CICERO versandt hatte, war über Umwege der Begriff "gefeuert" eingesetzt worden. Alsdann hieß es weiter: "Apropos gefeuert: Als Herman-Kollege Jens Riewa dem Playboy verriet, seine Frendin sei 'im Bett eine Bombe', musste er drei Monate lang von seinem Job zwangspausieren… Wir dürfen gespannt sein, welche Konsequenzen die sexistischen Sprüche von Tagesschau-Sprecherin Herman haben werden." Es folgten der Name, die Telefonnummer und die Mailadresse des "Verantwortlichen" (Chefredakteurs), damit der EMMA-Mob unmißverständlich zu den nötigen Schritten instruiert ist.
Der endgültige Rausschmiß Hermans gelang allerdings erst später. Als Anlaß diente eine Äußerung der Moderatorin bei der Vorstellung eines ihrer weiteren Bücher, mit der sie offenbar zum Ausdruck bringen wollte, daß die 68er-Bewegung Werte zerstört habe, die selbst der Zerstörungswut des Nationalsozialismus entkamen. Eine unglückliche Formulierung ließ solange Raum für gewollte Mißinterpretationen, bis der Fall im Jahr 2009 gerichtlich zugunsten Hermans geklärt werden konnte. Ihre in der Zwischenzeit erfolgte Entlassung durch Programmdirektor Herres (“Frau Herman steht es frei, ihren 'Mutterkreuzzug' fortzusetzen, aber mit der Rolle einer NDR-Fernsehmoderatorin ist dies nicht länger zu vereinbaren”) wurde jedoch nicht mehr rückgängig gemacht.
Just dieser Herr Herres war es nun, dem wohl beschieden war, als erster im ARD-Stall die Protestwucht jener neuen Männerbewegung - am eigenen Leib sozusagen - zu erfahren, einer Männerbewegung, die, anders als die alten angeblichen "Männerbewegungen" bis in die Neunziger, keine Niederlassung des Feminismus in "progressiven" Männerköpfen ist, sondern zu einem Großteil entschlossenes Auftreten gegen seine Auswüchse "in Medien, Kultur und Gesellschaft", wie es an bezeichnender Stelle heißt.
Das Konzept "Eine für alle" sollte offensichtlich kein gewöhnliches Projekt sein: "Die Kampagne für 'Eine für alle' ist die größte, die wir jemals für Das Erste gemacht haben. Sie übertrifft von der Länge und vom Volumen her jede unserer 'Sportschau'-Kampagnen", verriet Herres' Marketingleiter Pretzsch der Öffentlichkeit.2 Die Sendezeit des späten Nachmittags effizient zu füllen, scheint ein problematisches Unterfangen für den Fernsehsender zu sein. Warum eigentlich? Ist doch eine Frauenzeit! Hat Das Erste, frauenverstehend wie es sich gern gebärdet, noch nicht herausfinden können, was Frauen so wollen? Schlimm genug; und nun platzen mitten im ewigen Experiment mit dem holden Teil der Allgemeinheit auch noch diese beleidigten Männer hinein, die kurzerhand – ach Gott! ach Gott! – das Sexismus-Geschütz herausfahren. Was tun?
Vielleicht das: "Mit so einer Reaktion hätten wir niemals gerechnet, das übertrifft jede Fiktion an Lächerlichkeit", sprach Herres lt. SPIEGEL ONLINE zu den unliebsamen Protesten. Noch probierte dieser Herr, verwöhnt durch unsägliche Vergangenheiten, den Protest der Männer mit einer bloßen Geste des Verwerfens platt zu machen. Daß dies nicht mehr so einfach gelingen sollte, konnte so jemand ja nicht wissen. Woher auch? Abgeschirmt im Stimmungsvakuum jener medialen Raumstation, deren gleichgeschaltete Besatzung von Alice Schwarzer bis Harald Schmidt die reale Welt von oben herab mit Meinungsgewittern bombardiert, ist man wohl irgendwie verdammt, an die eigene Wirksamkeit zu glauben. Was kann dem abgehobenen Wahn das bißchen Realität anhaben, nach welcher Alice Schwarzer eine extravagante Singularität ist, die kaum je eine Wirkung auf "normale" Frauen ausgeübt hat, während Abertausende ihre Solidarität mit Eva Herman bekundeten? Das wird schon ein durchdachter Diskussionsabend in der Raumstation zurechtrücken, so einer mit der "Philosophin" Thea Dorn oder mit dem gewieften Moderator J. B. Kerner und eingeweihten Gästen, der dann von droben her den Erdlingen eingestrahlt wird, und schon wissen diese wieder, was sie zu meinen haben und was nicht. Das fehlte noch, daß die da unten eine eigene Meinung entwickeln und eines schönen Tages nicht einmal mehr an unsere Tatort-Kommissarinnen glauben…
