eigentümlich frei
Das Kreuz mit der Gleichstellung
Die April 2008-Ausgabe von "eigentümlich frei" widmete sich dem Thema "Frauen und Politik". Resoluter Untertitel: "Höchste Zeit, sich vom Feminismus zu emanzipieren". Der Artikel "Das Kreuz mit der Gleichstellung" war mein Beitrag zu diesem Heft:
Das Kreuz mit der Gleichstellung
Wer einmal mit besorgter Verwunderung den Satz "Technik von Frauen für Frauen" auf den Seiten offizieller Herausgaben las, darf sich hinsichtlich seiner Sorge um die Technik zwar beruhigen. Technik nämlich verträgt keine verfremdenden Einflüsse und keine falschen Widmungen, denn sie muß zu allererst funktionieren. Und ob sie dies auch unter Prämissen wie der obigen immer noch tun würde, stellte man schneller heraus, als sich ideologische Ambitionen abändern ließen.
Nicht so steht es leider mit der Politik. Dysfunktionen in diesem Bereich entwickeln ihr Sensationspotential oft erst nach Jahrzehnten. Ein großzügiger Rahmen, der viel Raum für imposante Experimente bietet, was ja "moderne" Politik sehr zu schätzen weiß. So war bereits "Politik von Frauen für Frauen" jahrzehntelang Usus, bevor diese in ihrer Tauglichkeit als rechtschaffene Praxis hinterfragt und ihre Taktik offengelegt wurde.
So brüskierte es wenige, wenn nach den Bildern der Soldaten, die, im tropischen Katastrophengebiet zur Leichenbergung verdonnert, ihren Durst durch Wasserspritzer stillten, die man ihnen aus hygienischer Vorsicht aus sicherer Entfernung in den weit geöffneten Mund schoß, die Entwicklungsministerin erschien, um uns zu versichern, daß von der geplanten Katastrophenhilfe vor allem Frauen und Mädchen profitieren sollten. Es fiel auch wenigen unangenehm auf, als dieselbe Politikerin eine Intensivierung des Anti-AIDS-Kampfes mit der Begründung ankündigte, daß die Erkrankung neuerdings auch immer mehr Frauen betreffe. Und da war einst noch die Familienministerin, die auf die Frage nach den Möglichkeiten der Unterstützung auch männlicher Opfer von häuslicher Gewalt die unliebsame Opfergruppe zu ihren Müttern oder Freundinnen schickte; staatlich unterstützte Aufnahme von Gewaltopfern im familiären Bereich solle weiterhin nur für Frauen gewährleiste sein – Punkt, aus!
Hat Politik von Frauen überhaupt die Chance, keine Frauenpolitik im hier gezeigten Stil zu sein? Man glaubt es kaum, wenn man das Betragen von Politikerinnen ernst nimmt, die offensichtlich davon ausgehen, daß die Bevorzugung des eigenen Geschlechts ihre innerste zwischenmenschliche Pflicht ist. Und man soll es auch nicht glauben. Denn das Endziel aller Frauenpolitik, die "rechtliche und faktische Gleichstellung der Frau", wie es kokett heißt, kann ja gar nicht erfolgen, ohne daß sie aus den eigenen vitalen und moralischen Ressourcen der Frauen selbst herstellbar wäre.
Doch daran scheinen Frauen noch weniger zu glauben als wir Feminismuskritiker. Obwohl längst freie Bürger mit gleichen Rechten, betrachten sie ihre weitere Emanzipation als etwas zu ihrer Selbstbestimmung, über die sie bereits durchaus verfügen, Zusätzliches. Sie stellte sich nicht mit der längst erfüllten "Gleichberechtigung" unweigerlich ein. Frauen emanzipieren sich auch im gängigen politischen Verständnis nicht - nicht von selbst. Sie sollen emanzipiert gemacht werden. Der Staat ist als tragende Instanz angehalten, durch das abenteuerlichste Zusammenfädeln unzähliger judikativer und anderer Maßnahmen und Instrumentarien alle faktischen oder "gefühlten", alle sichtbaren oder "gläsernen" Hindernisse aus dem Weg der Emanzipation zu räumen und nicht nur das. Am besten soll er gleich Frauen per Anordnung da hinaufhieven, wo sie sich emanzipationstheoretisch hätten befinden sollen.
Solange es aber Sondermaßnahmen sind, die Frauen gleichstellen sollen, wird auch die Stellung der Frauen eine Sonderstellung bleiben. Der Begriff einer Sondergleichstellung klänge wohl selbst in den Ohren geübter Sprachdrechsler etwas zu delikat. Und so bleibt der vorgebliche Anspruch der Frauenpolitik weiterhin ihr als Motor erhalten für das ewigliche Festsitzen im aufwendigen Leerlauf teurer Ausgleiche und Kompensationen. Für die Politik selbst bedeutet das allerdings ein inneres Doppelleben, die Verinnerlichung einer Spaltung: Ein Gutteil der Agierenden sieht es als seine Aufgabe, die Interessen der eigenen biologischen Gruppe zu vertreten, und dies mit der bedenklich selbstbewußten Ausschließlichkeit von weiter oben.
Der Verlust des Gegenstands
Dabei wird das politische Objekt, um welches die Interessen jeweils kreisen, in seiner inhaltlichen Unversehrtheit gefährdet. Sei es die Familie, der Arbeitsmarkt oder die Bildung; während Frauenpolitikerinnen danach streben, die Bevorzugung ihrer gleichgeschlechtlichen Klientel zu sichern, kann ihnen das betroffene System abhanden kommen. Wie aussichtslos es doch wäre, mit einer Familienministerin über die unzuträglichen Wirkungen der feministisch inspirierten Familienpolitik auf die Familie zu sprechen. Oder mit der Hüterin der Justiz über die verfehlte Rechtspraxis bei Anordnung "positiver Diskriminierungen", wie Diskriminierungen von Männern neusprachlich heißen.
Geradezu anekdotisch war hierzu die Reaktion der Frauen- und Jugendministerin von der Leyen bei der Konfrontation mit der Feststellung, daß Jungen in der Bildung ins Hintertreffen geraten seien: Dies sei "nicht schlimm", befand sie darauf prompt! Freilich nicht. Aber für wen oder wofür sollte die Mißlage der Jungen nicht schlimm sein? Für die Jungen selbst ist sie ganz sicher schlimm. Schlimmer noch: Sie ist auch schlimm für die Bildung und ihren Einfluß auf die Wirtschaft. Von der Leyen, so zeigen andere Verlautbarungen dieser Politikerin, ist sich des Zusammenhangs bewußt, der zwischen männlichen Bildungserfolgen und den Wirtschaftsressourcen ihres Landes besteht. Technisches Wissen ist für das Land von der Leyens bekanntlich ein Rohstoff, der nun mal durch hingezauberte Mädchenerfolge nicht ersetzt werden konnte, wie uns der inzwischen entstandene Mangel an Fachkräften zeigt. Solcher Mangel könnte in Zukunft so drastische Auswirkungen zeitigen, daß es auch für den weiblichen Teil der Bevölkerung einmal "schlimm" werden könnte.
Auch war zur Zeit der sonderbaren Beschwichtigung der Ministerin längst durch Untersuchungen das bekannt, was kürzlich das Bildungsministerium in einer merkwürdig zögerlich herausgegebenen Studie bestätigte: daß Jungen bei gleicher Leistung schlechter benotet, also diskriminiert werden.
Die dubios tröstliche Einwendung der Politikerin kann also ihre Rechfertigung nur in einem relativ gedankenfreien Raum finden, in welchem die Positionen Jungen, Mädchen und Bildung vogelfrei bezugslos umeinander herkreisen und nur dort interessante Momente aufblitzen lassen, wo das Zusammentreffen der beiden Geschlechter feministische Ambitionen streift. Solche Auseinanderlösung möchte ich nicht politischen Verstand nennen. Dagegen käme man nicht umhin, in Äußerungen wie der hier kommentierten einen pittoresk charakteristischen Wurf echter Frauenpolitik zu sehen.
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